Laut dem aktuellen Klimaschutz-Index der Organisation Germanwatch schneidet Deutschland beim Klimaschutz schlecht ab. Trotz Kohleausstieg und Klimapaket liegt Deutschland lediglich auf Platz 19 der 57 emissionsstärksten Länder – und damit sogar hinter der EU (Platz 16). Grund für diese Platzierung war laut Jury der unzureichende CO2-Preis, der für 2021 vereinbart wurde. Um unter die Top 10 zu kommen sei dieser zu lasch und unambitioniert. „Besorgniserregend“ sei laut Studie außerdem der hohe durchschnittliche CO2-Ausstoß pro Kopf und der hohe Energieverbrauch der Deutschen. Und auch im Verkehr ist laut Studie noch immer keine Kehrtwende hin zu einer emissionsarmen Mobilität zu erkennen.
In dem jährlich erscheinenden Bericht wird die Klimapolitik der 57 emissionsstärksten Länder und der EU bewertet. Besonders gut schneiden die skandinavischen Länder ab. Ganz vorne liegt Schweden. Laut Prognosen könnte das Land schon 2030 komplett klimaneutral sein.
Neue Studie entwickelt Szenario, mit dem das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden könnte
Die Fakten liegen also auf dem Tisch: Deutschland muss mehr für den Klimaschutz tun, wenn das Pariser 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Eine neue Studie des Konzeptwerks Neue Ökonomie und der Heinrich-Böll-Stiftung hat nun ein Szenario modelliert, mit dem dieses Ziel auf globaler Ebene möglichst sozial und mit wenig Risiko eingehalten werden kann. Es trägt den Namen „Societal Transformation Scenario“ (STS).
Für die Entwicklung des Modells haben die Studien-Autor*innen verschiedene Sektoren wie Transport, Ernährung und Wohnen untersucht und jeweils konkrete jährliche Ziele zur Reduktion der jeweiligen Emissionen berechnet. Auf Grundlage der Untersuchungen machen die Forschenden Vorschläge für einen sozial-ökologisch verträglichen Umbau. Das Ziel: eine Reduktion der globalen Emissionen in den nächsten zehn Jahren (2020 bis 2030) um insgesamt 50 Prozent sowie von dort bis 2050 dann um weitere 22 Prozent.
Zur Berechnung der Treibhausgasreduktionen des STS wurde der Global Calculator verwendet. Mit diesem Modell-Rechner lassen sich die Auswirkungen verschiedenster Produktions- und Konsumniveaus auf den globalen Treibhausgasausstoß berechnen. Dabei werden die weltweiten Energie-, Land- und Nahrungsmittelsysteme bis 2050 einbezogen. Für die Studie wurde das Modell zusätzlich noch an die Folgen der historischen Verantwortung des globalen Nordens angepasst.
„Integrated Assessment Modelle, die üblicherweise zur Erstellung von globale Minderungsszenarien genutzt werden, erschweren einen solchen notwendigen Diskurs über Klimapfade, da politische Annahmen in Algorithmen versteckt bleiben. Deshalb haben wir uns mit dem Global Calculator (GC) für ein relativ einfaches, transparentes Modellierungswerkzeug entschieden.“, so der Co-Autor der Studie Kai Kuhnhenn vom Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig. Das entwickelte Transformationsszenario rechnet ohne den Einsatz risikoreicher Technologien wie dem Geo-Engineering (also beispielsweise die künstlichen Reduzierung einfallender Sonnenstrahlung oder die Entfernung und anschließende Speicherung von Treibhausgasen und Kohlenstoffdioxid) oder neuen Investitionen in Energiegewinnung aus Atomkraft.
Linda Schneider von der Heinrich-Böll-Stiftung und ebenfalls Autorin der Studie sagt: „Seit dem Pariser Abkommen ist wenig bis nichts passiert. Weltweit steigen die Emissionen kontinuierlich an. Deshalb führen auch Annahmen in den Modellierungen der IPCC-Berichte wie ein Festhalten am Wirtschaftswachstum im globalen Norden bis zum Jahr 2100 in eine Sackgasse: Denn in diesen Modellen kann die Erderwärmung oft nur unter Einsatz risikoreicher, zum Teil kaum erprobter Technologien auf 1,5 Grad begrenzt werden.“ Sie betont, dass Modellierungen fehlen, die stattdessen auf einen Rückgang von Produktion und Konsum insbesondere als Beitrag der Länder des globalen Nordens setzen. „Das ist angesichts weltweit unterschiedlicher Entwicklungsbedürfnisse weder zielführend, noch berücksichtigt es die historische Verantwortung der Industrieländer für die Klimaerwärmung“, so Schneider. Außerdem soll eine mögliche Transformation sozial gerecht und ökologisch sein. „Fairness und sozial-ökologische Verträglichkeit in der unaufschiebbaren grundlegenden Transformation müssen auch global ausbuchstabiert und transparent ausgehandelt werden“, fordert Schneider daher.
Es geht nicht ohne einen Umbau von Verkehr, Ernährung und Gebäuden
Wie sehen die konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der gesetzten Ziele hinter dem STS-Modell nun also aus? Für den Transportsektor rechnen die Forschenden mit einer Reduktion des Energieverbrauchs um insgesamt drei Prozent. Zum Vergleich: Während des untersuchten Corona-Lockdowns wurden bis zu 50 Prozent weniger CO2-Emissionen ausgestoßen. Auch im Gebäudesektor muss es einen Umbau geben, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Durch bessere Technik, eine geringere Geräteausstattungen und kleinere durchschnittliche Wohnraumflächen pro Person könnten bis zum Jahr 2050 bis zu zwei Drittel der Emissionen eingespart werden. Doch nicht nur unsere Mobilität und unser Wohnen spielen eine große Rolle, auch unsere Ernährung hat einen erheblichen Einfluss auf die Menge der ausgestoßenen Emissionen und muss, um eine Erderwärmung über 1,5 Grad zu verhindern, umgestellt werden. Zum Beispiel, indem weniger Fleisch auf dem Teller landet. Würde der Fleischkonsum in den Industrieländern um bis zu 60 Prozent zurückgehen, so könnten große landwirtschaftliche Gebiete in natürliche Ökosysteme zurückgeführt oder nachhaltig bewirtschaftet werden, so die Studie.
Das Hauptaugenmerk der Studie liegt auf einem sozial und gerechten Umbau zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Daher fordern die Autor*innen, dass vor allem die Länder in die Verantwortung gezogen werden, die historisch gesehen auch den größten Anteil an den globalen Emissionen haben. „Den drastischen Rückgang von Emissionen, den wir brauchen, um die Klimakrise abzumildern, erreichen wir nachhaltig und ohne Risikotechnologien nur, indem wir konventionelle Produktions- und Konsummuster im globalen Norden stark reduzieren. Das lässt sich nur mit einem grundlegenden sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft erreichen. Wie dieser gestaltet werden kann, sollte Gegenstand einer demokratischen und transparent geführten Debatte sein“, so Kuhnhenn.
Mit Blick auf den aktuellen Klimaschutz-Index von Germanwatch sowie Deutschlands schlechte Stellung im Vergleich mit anderen großen Industrieländern sollte das Ziel deutscher Politik und Gesellschaft also nicht nur sein, dass Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, sondern auch der historischen Verantwortung Deutschlands beim Ausstoß bisheriger CO2-Emissionen gerecht werden. Und fraglos stehen Wohlstands-Ländern wie Deutschland dazu auch die nötigen Mittel zur Verfügung.