Die Plastikverschmutzung unseres Planeten könnte bis 2040 um rund 80 Prozent gesenkt werden – allerdings nur, wenn sowohl bei der Nutzung von Plastik als auch bei der Verarbeitung und dem Recycling von Plastikmüll größtmögliche, globale Anstrengungen unternommen werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Team um Winnie Lau vom Pew Charitable Trusts, einer NGO, die sich dem Umwelt- und Naturschutz verschrieben hat, zusammen mit Wissenschaftler*innen mehrerer Forschungseinrichtungen.
Allerhöchste Zeit für Maßnahmen gegen die globale Plastikschwemme
Die immer noch zunehmende Produktion und Nutzung von Plastik ist ein Problem, das immer deutlicher wird. Allein in unsere Meere werden pro Jahr etwa acht Millionen Tonnen Makroplastik und zusätzlich 1,5 Millionen Tonnen Mikroplastik eingetragen. Es ist mittlerweile fast unmöglich, Orte zu finden, in denen sich keine Spuren der Kunststoffe ausmachen lassen – in den entlegensten Polarregionen und Hochgebirgen, in allen Regionen und Tiefen der Meere, in Mägen und Muskelgewebe von Tieren und sogar im menschlichen Organismus konnte mittlerweile Plastik nachgewiesen werden. Dazu kommt: Neben Mikro- und Makroplastik in der Umwelt als Müllproblem sind die Herstellung, Sammlung und Entsorgung von Kunststoffen auch eine enorme CO2-Emissionsquelle.
Die Folgen für Menschen, Tiere und Umwelt könnten verheerend sein und es ist allerhöchste Zeit zu handeln. „Denn obgleich die Wissenschaft zum momentanen Zeitpunkt noch nicht genau sagen kann, welcher Kunststoff, in welcher Form oder Größe Auswirkungen auf die Umwelt oder die menschliche Gesundheit haben könnte, gilt hier das Vorsorgeprinzip. Kein Müll gehört in die Umwelt und daher sollte alles daran gesetzt werden, den Eintrag von Müll in die Umwelt zu unterbinden“, betont auch Prof. Dr. Rita Triebskorn vom Institut für Evolution und Ökologie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen.
Doch wie ist dem Problem beizukommen? Um Antworten auf diese Frage zu finden, hat das internationale Team um Winnie Lau im Rahmen der Studie „Evaluating scenarios toward zero plastic pollution“ fünf Szenarien entwickelt und diese daraufhin untersucht, welche Eingriffe in den Plastik-Kreislauf am effektivsten darin sind, zu verhindern, dass das Plastik in der Umwelt landet: Business-as-usual, ‚Einsammeln und Entsorgen‘, Recycling, Verringerung der Plastikmenge und die gleichzeitige Anwendung all dieser Interventionen. Das Ergebnis ist wenig überraschend, trifft es doch auf viele unserer menschengemachten und äußerst komplexen Probleme – wie auch auf den Klimawandel – zu: Eine Patentlösung, mit der alleine das Problem behoben werden kann, gibt es nicht. Was es braucht – und auch das gilt für den Klimawandel –, ist ein kompletter Systemwechsel. Das heißt nach Ansicht der Autor*innen, dass sich nur dann, wenn alle denkbaren Maßnahmen gemeinsam und koordiniert umgesetzt werden, die Menge des Plastikmülls in der Umwelt um 78 Prozent im Vergleich zum Business-as-usual-Szenario verringern lässt. Zu den Maßnahmen gehört, die Wiederverwendungs-, Abfallsammel- und Recyclingraten zu erhöhen, sichere Entsorgungssysteme weiter auszubauen, die Plastikproduktion und den Kunststoffverbrauch zu reduzieren, Plastik durch Papier und kompostierbare Materialien ersetzen und die Reduktion des Exports von Plastikmüll.
Das Team berechnete, dass die Kosten unter dem Szenario „Systemwandel“ sogar um 18 Prozent niedriger ausfallen würden als beim Business-as-usual-Szenario. Die gestiegenen Kosten für die Abfallentsorgung würden dabei durch Kosteneinsparungen aus der verringerten Kunststoffproduktion und Einnahmen aus dem Verkauf von Recyclaten ausgeglichen, die aufgrund der Produktneugestaltung und der verbesserten Wirtschaftlichkeit des Recyclings stiegen.
Doch von einem gemeinsamen Aktionsplan sind wir aktuell noch weit entfernt. Die Autor*innen der Studie stellen fest, dass viele Länder zwar ausgewählte Kunststoffprodukte mittlerweile verboten haben, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Verbot von Einwegtragetaschen und Mikroplastik in kosmetischen Produkten liegt und auch die Europäische Union hat unlängst eine Richtlinie über Einwegkunststoffe verabschiedet. Gleichzeitig arbeiten viele wissenschaftliche Gemeinschaften und Nichtregierungsorganisationen an Lösungen. Doch nach wie vor gibt es keine globale Strategie, die praktische und messbare Interventionen zur Verringerung der Verschmutzung durch Kunststoffe beinhaltet.
Es gilt viele Schwierigkeiten zu überwinden
Soll in allen Haushalten weltweit Plastik gesammelt werden, ist das eine gewaltige Aufgabe. Jede Woche müssten nach Berechnungen der Autor*innen bis 2040 über eine Million zusätzlicher Haushalte an die Sammeldienste angeschlossen werden. Die Mehrheit dieser nicht angeschlossenen Haushalte befindet sich in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Die Bemühungen, die Sammlung von Haushaltsabfällen zu steigern, würden daher eine Schlüsselrolle für die „Abfallsammlenden“ erfordern, da diese den informellen Sammelsektor mit der Wertschöpfungskette (Recycling) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verbinden. Zudem gilt es, neue Abfallmanagement-Dienstleistungen zu schaffen, da viele Gemeinden mit unzureichender Infrastruktur ihre Abfälle in Wohngebieten oder auf offenen Deponien ohne Emissionskontrollen verbrennen. Verschärfend kommt in diesem Zusammenhang hinzu, dass nach wie vor Länder mit hohem Einkommen ihren Plastikmüll in Länder mit niedrigem Einkommen verschiffen. Diese Exporte erhöhen den Anteil der schlecht gehandhabten Kunststoffabfälle oft noch weiter, da die Empfängerländer oft nicht einmal über ausreichende Kapazitäten zur Bewirtschaftung ihrer eigenen Abfälle verfügen.
Gleichzeitig gibt es nach wie vor Datenlücken, was es schwierig macht, eine Politik zu entwickeln, die soziale und finanzielle Anreize aufeinander abstimmt und die Auswirkungen von Verbraucher-, Unternehmens- und politischen Maßnahmen auf die Lösung des Problems abschätzen zu können. Daher werden zusätzliche empirische Daten über das gesamte Kunststoffsystem benötigt – insbesondere in Ländern des globalen Südens. Von den Studienautor*innen unbeachtet geblieben ist hier die Entwicklung neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz in Kombination mit der Fernerkundung mittels Satelliten und Drohnen, die die Datensammlung enorm verbessern könnten.
Prof. Dr. Sina Leipold, Juniorprofessorin für Gesellschaftliche Transformation und Kreislaufwirtschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat bezüglich der Umsetzbarkeit des Best-Case-Szenarios erhebliche Bedenken: „Da Plastikproduktion und Konsum heute in globalen Lieferketten stattfindet, erscheinen die Annahmen hinsichtlich der Effektivität und Umsetzbarkeit von Politikinstrumenten sehr optimistisch.“ Verschärfend kommt hinzu, dass „Eile geboten ist, denn wenn die tiefgreifenden Veränderungen des ‚System Change‘-Szenarios um nur fünf Jahre verschoben werden, sammeln sich in der Umwelt 300 Millionen Tonnen mehr Plastik an“, wie die Meeresökologin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven betont.
Und auch wenn es uns gelingen sollte, diese Herkulesaufgabe tatsächlich zu bewältigen, werden die Kunststoffproduktion und unsolide Abfallentsorgungstätigkeiten selbst bei einem solchen Systemwechsel weiterhin große Mengen an Treibhausgasen ausstoßen. Zudem zeigt sich, dass „selbst beim gebotenen sehr ehrgeizigen Ziel ‚System Change‘ immer noch 22 Prozent in unsere Umwelt gelangen, was nicht wenig ist“, sagt Dr. Melanie Bergmann.
Daher kommen wir nicht darum herum, weitere Innovationen bei ressourceneffizienten und emissionsarmen Geschäftsmodellen, Wiederverwendungs- und Nachfüllsystemen, nachhaltigen Ersatzmaterialien und Abfallentsorgungstechnologien intensiv voranzutreiben. Nötig ist dazu eine wirksame Regierungspolitik und die Neuausrichtung bestehender und künftiger Investitionen in die Infrastruktur für Innovationen auch in der Entwicklung alternativer Kunststoffe. Um den Kunststoffeintrag in die Umwelt gegen Null laufen zu lassen, sind erhebliche Verpflichtungen von Unternehmen, Regierungen und der internationalen Gemeinschaft erforderlich.
Dies betont auch der letztes Jahr erschienene Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung: Auch wenn wir als Verbraucher*innen natürlich nicht unbeteiligt sind an einem aus den Fugen geratenen Plastikkonsum, so lassen sich wirklich weitreichende Veränderungen nur erzielen, wenn international agierende Unternehmen in die Pflicht genommen werden. Nur ein paar Dutzend Unternehmen stellen den Großteil der Plastikprodukte her und nur eine Handvoll multinationaler Konzerne dominiert den Markt der Plastik-Pellets, der Rohform von Kunststoffen. Und diese Konzerne haben eine starke Lobby, die gut organisiert dafür sorgt, dass die wachsende Produktion von Kunststoffen als wesentliches Problem aus dem Blick gerät. Stattdessen lenkt sie die Aufmerksamkeit auf das Abfallmanagement und Recycling und drückt sich so vor der Verantwortung. Die Folge: Es gibt eine Vielzahl an Abkommen und Initiativen mit der Aufgabe, die Plastikflut einzudämmen. Doch beinahe alle behandeln nur die Entsorgung und lassen die Hersteller außen vor. Daher sind verbindliche Regelungen, die die Hersteller verpflichten, die Produktion zu drosseln oder recyclingfreundliche Produkte zu entwickeln, dringend nötig.