Deutschland als Vorreiter in Sachen Energiewende und Klimaschutz? Das war einmal. Wenn wir nicht sehr schnell umlenken, können wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen.
Aber welche Maßnahmen sind dazu nötig, welchen Stellenwert nimmt Elektromobilität dabei ein und was kann jeder Einzelne von uns dazu leisten?
Wir haben darüber mit Volker Quaschning gesprochen. Er ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien und setzt sich seit Jahren für die Entwicklung einer nachhaltigen Energieversorgung und für die Umsetzung von wirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz ein.
Deutschland sieht sich selbst als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Energiewende. Mittlerweile ziehen aber andere Länder in dieser Hinsicht an uns vorbei. Woran hakt es?
Deutschland hat zwei ungelöste Probleme: Wir haben Energieversorger, die nach wie vor enorm von der deutschen Braunkohle abhängig sind. Deutschland ist noch vor China weltweit das größte Braunkohleförderland. Und wir haben eine Automobilindustrie, die in den letzten Jahren lieber an der Manipulation und Verwässerung von Grenzwerten als an zukunftsfähigen Transportkonzepten gearbeitet hat. Beides verhindert wie Blei ein schnelles Umsteuern.
Deutschland wird sehr wahrscheinlich seine Klimaschutzverpflichtung bis 2030 verfehlen – und zwar weit. Wo liegen die Ursachen?
Wollen wir unsere Klimaschutzziele erreichen, müssen wir das Tempo der Energiewende in etwa vervierfachen. Das geht entweder nur mit richtig viel Geld oder mit unpopulären Maßnahmen. Die Politik mogelt sich lieber vier Jahre ohne beides durch, anstatt die nötigen Weichen zu stellen. Viele Politiker fürchten, dass die Bevölkerung die Maßnahmen am Ende nicht mittragen wird und sie dadurch Wahlen verlieren. Ich glaube aber, sie irren. Die Bevölkerung hat ein gutes Gespür dafür, dass beim Klimaschutz einiges im Argen liegt und die Mehrheit möchte sicher ihre Kinder nicht den drohenden Konsequenzen ausliefern.
Welche politischen Maßnahmen müssen umgesetzt werden, um das Ruder bezüglich der Klimaschutzziele doch noch herumzureißen?
Wir müssen bis 2040 unsere Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. Das bedeutet, dass bis dahin keine Kohle, kein Öl und kein Erdgas mehr verwendet werden darf. Ab 2025 dürften nur noch Elektroautos verkauft werden. Das Ende der Öl- und Gasheizung müsste sogar noch früher kommen. Gleichzeitig müssten erneuerbare Energien, Speicher und regenerative Wärmeanwendungen massiv ausgebaut werden.
Wie kommt E-Mobility dabei ins Spiel? Was kann bzw. muss Elektromobilität hier leisten?
Klimaschutz bedeutet, dass schon bald kein Benzin und kein Diesel mehr verbrannt werden darf. Das kann nur mit der Elektromobilität und Strom aus erneuerbaren Energien gelingen. Spätestens in 25 Jahren muss der Verkehr fast ausschließlich elektrisch sein und der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Kraftwerken kommen.
Aber auch E-Mobilität nimmt in Deutschland nur langsam an Fahrt auf. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Wie kann die Entwicklung vorangetrieben werden?
Die Automobilindustrie hat momentan nur ein geringes Interesse, auch attraktive Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen. Autos mit geringer Reichweite und mangelnde Ladeinfrastruktur sind für die meisten ein K.O.-Kriterium. Fahrverbote für Dieselfahrzeuge könnten den Druck für Änderungen deutlich erhöhen.
Oft wird bei E-Mobilität lediglich an E-Autos gedacht. Es reicht aber nicht, lediglich alle Benzin- und Dieselfahrzeuge durch Stromer zu ersetzen, das Thema muss ganzheitlich angegangen werden. Welche klimaverträglichen Mobilitätsvariablen gibt es?
Der umweltverträglichste Verkehr ist der, der gar nicht stattfindet. Natürlich müssen wir auch Verkehrsvermeidung, Ausbau des Radverkehrs und den öffentlichen Nahverkehr weiter deutlich voranbringen. Aber für den Rest ist aus Klimaschutzgründen Elektromobilität die einzige Option.
Ohne ein Umlenken in der Politik wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht erreichen können. Dennoch die Frage: Was kann der Einzelne dazu beitragen?
Die Politik hat den Eindruck, dass man mit Klimaschutz keine Wahlen gewinnen kann. Dass muss sich ändern. Das Thema muss künftig Wahlen entscheiden. Um das zu erreichen, müssen wir den Klimaschutz so gut es geht zum öffentlichen Thema machen. Reden Sie drüber, stellen Sie die Politik zu Rede und bekennen Sie Farbe. Schließlich geht es um die Zukunft unserer Kinder.