Wer weiß was über die Weißen Haie im Mittelmeer?

Auch im Mittelmeer gibt es Weiße Haie. Doch viel ist nicht über sie bekannt. Das SharkProject will einige ihrer Geheimnisse lüften - bevor es zu spät ist.

Autor Lana O'Sullivan:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 01.05.24

Ja, im Mittelmeer gibt es Weiße Haie. Allerdings nicht mehr viele. Und es ist nur sehr wenig über die Raubtiere bekannt. Da sie seit jeher nur sehr selten gesichtet wurden, ist es schwierig, etwas über ihre Anzahl, ihren Lebensraum und ihre Gewohnheiten zu erfahren. Jüngste Analysen deuten jedoch darauf hin, dass ihre Population in den letzten 100 Jahren um 52 bis 96 Prozent zurückgegangen ist. Daher stehen die Weißen Haie im Mittelmeer auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.

Allerdings: Wenn der Weiße Hai aussterben würde, hätten wir alle ein großes Problem.

Als Spitzenprädatoren haben Haie einen enormen Einfluss auf die Ökosysteme unserer Ozeane. Sie erhalten nicht nur den Bestand der Arten, von denen sie sich ernähren, wie zum Beispiel Seeotter und viele verschiedene Fischarten. Sondern sie sind auch für den Erhalt der Seegras– und Korallenriff-Lebensräume unerlässlich. Ohne sie würden andere Raubfische mehr Pflanzenfresser fressen, was wiederum dazu führen würde, dass Algen die Korallenriffe dominieren. Nach Angaben der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration sind damit mehr als 25 Prozent der Meeresbewohner von ihnen abhängig. Und auch mehr als eine halbe Milliarde Menschen, die von den Riffen Nahrung, Einkommen und Schutz erhalten.

Warum ist so wenig über den Weißen Hai im Mittelmeer bekannt?

Das geringe Wissen über den Weißen Hai im Mittelmeer kann zumindest teilweise auf folgende Faktoren zurückgeführt werden:

1. Geringe Populationsdichte: Im Vergleich zu anderen Lebensräumen für Weiße Haie – wie Australien oder Südafrika – ist die Populationsdichte der Weißen Haie im Mittelmeer viel geringer. Dies macht ihre Erforschung schwieriger, da Begegnungen mit Menschen weniger häufig sind.

2. Historische Voreingenommenheit: In der Vergangenheit hat sich die Forschung über Weiße Haie auf Regionen konzentriert, in denen sie häufiger vorkommen. Dies hat dazu geführt, dass weniger Studien in den Mittelmeerregionen durchgeführt wurden.

3. Unauffindbarkeit: Weiße Haie sind dafür bekannt, dass sie schwer zu finden sind. Dies gilt insbesondere für das Mittelmeer, wo sie in tiefen Gewässern über weite Strecken umherstreifen können.

Historische Aufzeichnungen und anekdotische Sichtungen deuten darauf hin, dass es einmal eine Zeit gab, in der Haie das Mittelmeer in Hülle und Fülle durchstreiften. In den letzten fünf Jahrzehnten ist ihre Population jedoch zunehmend zurückgegangen. Woran kann das liegen?

Das Mittelmeer ist das am stärksten überfischte Meer weltweit

„Weiße Haie waren im Mittelmeer zweifellos einmal sehr viel häufiger anzutreffen“, erklärte Alessandro De Maddalena, der Autor von „Mediterranean Great White Sharks: A Comprehensive Study“ (2021), gegenüber National Geographic. „Dies gilt nicht nur für Weiße Haie, sondern es gibt auch Belege dafür, dass viele Haiarten in den letzten 50 Jahren einen starken Rückgang erlitten haben und als Folge der Überfischung entweder der Haie oder ihrer Beute selten geworden sind.“

Das Mittelmeer, einst ein blühender Lebensraum für Meereslebewesen, ist zu einem der gefährlichsten Gebiete für große Meeresraubtiere, insbesondere für den Weißen Hai, geworden. Die Ursache für den Rückgang der Bestände ist natürlich der Mensch. Die industrielle Fischerei im Mittelmeer hat sich, wie in anderen Teilen der Welt, im letzten Jahrhundert aufgrund des technischen Fortschritts und der exponentiellen Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten stark verändert.

In einem von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Bericht aus dem Jahr 2018 wurde das Mittelmeer als das vom Menschen am stärksten dezimierte Meer der Welt bezeichnet. 62 Prozent der Fischbestände gelten als überfischt. Das wirkt sich natürlich auch auf die Zahl der Tiere aus, die sich von ihnen ernähren. Zwar wurden in den letzten Jahren als Reaktion auf diese extremen Zahlen einige Vorschriften erlassen. Doch sie sind nicht weitreichend und wirkungsvoll genug. Die Beutetiere der Haie werden weiterhin kontinuierlich dezimiert. Und die Haie selbst landen in Netzen und werden sogar absichtlich (und illegal) wegen ihrer lukrativen Körperteile gefangen.

Daher besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei helfen könnte die umfassende Erhebung von Daten über diese vom Aussterben bedrohte Art.

Mit Datenerhebung die Geheimnisse der Haie lüften

Im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Dr. Francesco Ferretti und seinem Team an der Virginia Tech in den Vereinigten Staaten werden die letzten verbliebenen Weißen Haie im Mittelmeer geortet und untersucht.

Shark Project, das im Jahr 2021 begann, ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem mehrere Institutionen und Forschende aus den USA, Europa und darüber hinaus beteiligt sind. Durch den Einsatz modernster Technologien wie DNA-Proben aus der Umwelt (eDNA), ferngesteuerter Unterwasservideosysteme mit Ködern (BRUVS) und Drohnen will das Team die Geheimnisse des Weißen Hais im Mittelmeer entschlüsseln. Diese Techniken ermöglichen ein nicht-invasives Monitoring, die unschätzbare Einblicke in die räumliche Verteilung und ökologische Dynamik der Haie liefert.

Was ist eine e-DNA-Probeentnahme?

Anstatt Pflanzen oder Tiere zu sammeln, sammeln Wissenschaftler*innen winzige DNA-Stücke, die Lebewesen in ihrer Umgebung hinterlassen. So wie wir Haare oder Hautzellen abwerfen, geben Tiere und Pflanzen ihre DNA über Speichel, Urin oder Haut in das Wasser oder den Boden ab.

Wissenschaftler*innen können so Wasser- oder Bodenproben aus einem Gebiet entnehmen und im Labor nachweisen, welche Arten sich dort aufgehalten haben.

Ein gemeinsamer Ansatz bedeutet mehr Datenpunkte

Ein wichtiger Meilenstein im Rahmen des Projekts ist der Einsatz eines kleinen Peilsenders, mit dem die Bewegungen eines Weißen Hais im Mittelmeer verfolgt werden. Die Forschenden nutzen diese einzigartigen Informationen, um das Verhalten des Hais, seine Wanderungsmuster und seinen Lebensraum zu untersuchen. Der Einsatz dieser sogenannten „Tags“ ist bahnbrechend – es ist das erste Mal in der Geschichte, dass eine solche Taktik in diesem Gebiet angewendet wird.

Außerdem nutzen die Forschenden auch historische und aktuelle Sichtungen, um potenzielle Hotspots im Mittelmeer zu ermitteln. Dabei integriert das Projekt über die Plattform SharkPulse Bürgerwissenschaftler*innen, die weltweit Haisichtungen und Fotos hochladen können. Durch die öffentlichen Sichtungen erhoffen sich die Forschenden wertvolle Erkenntnisse über die Haipopulationen und die Identifizierung wichtiger Schutzgebiete. So haben sie mithilfe der Citizen Scientists zum Beispiel herausgefunden, dass der Sizilianische Kanal vermutlich ein Aufzuchtgebiet für Weiße Haie ist. Diese Erkenntnisse und die Tatsache, dass der Blauflossenthunfisch, eine der Hauptnahrungsquellen der Haie, im Überfluss vorhanden ist, sind ein Hoffnungsschimmer für das Überleben der Haie.

Durch die Zusammenarbeit im Rahmen des Haiprojekts soll das bisher klarste Bild des Weißen Hais im Mittelmeer entstehen. Die Hoffnung ist, dass mehr Kenntnisse über ihre Anzahl, ihre Gewohnheiten und ihre Lebensräume dabei helfen, sie besser schützen zu können, zum Beispiel durch angepasste Fischereivorschriften.

Das Shark Project will ein langfristiges Forschungs- und Überwachungsprogramm für den Weißen Hai im Mittelmeer einrichten. Laut ihrer Website ist das Projekt noch nicht abgeschlossen, allerdings wurden seit 2022 nur sehr wenige Forschungsergebnisse bekannt gegeben.

Obwohl die im Rahmen von Projekten wie diesem gesammelten Daten für unser Verständnis von entscheidender Bedeutung sind, werden den größten Unterschied die von den Regierungen verhängten Erhaltungsmaßnahmen und verbesserten Fischereivorschriften für die Erholung des Weißen Hais im Mittelmeer ausmachen.

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