Handelsware Mensch: Menschenhandel im 21. Jahrhundert

Menschenhandel - das klingt nach einem Relikt aus vergangenen Tagen. Tatsächlich scheint das Geschäft mit der Handelsware Mensch nach aktuellen Untersuchungen mehr denn je zu boomen. Menschenhandel ist ein industrialisiertes Verbrechen, eine globale oft übersehene Tragödie, die heute jeden Kontinent und die meisten Länder dieser Erde betrifft.

Autor*in Rima Hanano, 15.02.09

Jährlich werden im Windschatten der Globalisierung mehr als 2,4 Millionen Menschen wie Ware gehandelt, müssen die schlimmsten Formen wirtschaftlicher Ausbeutung erfahren und brutalste Verletzungen ihrer Menschenrechte hinnehmen. Die Gewinne aus dem Menschenhandel werden weltweit auf 32 Milliarden US-Dollar geschätzt – jährlich.

In 400 Jahren transatlantischem Sklavenhandel wurden etwa zwölf Millionen Afrikaner als Sklaven unter schlimmsten Bedingungen nach Amerika verschifft. Weniger bekannt ist jedoch, dass in den vergangenen 30 Jahren allein in Südostasien 30 Millionen Kinder und Frauen Opfer von Menschenhändlern wurden. Fakt ist: Menschenhandel ist kein neues Phänomen, aber ein Problem, welches Ausmaße annimmt, die uns vergessen lassen, dass wir im 21. Jahrhundert leben.

Menschenhandel ist eine Summe von Menschenrechtsverletzung und verletzt unveräußerliche Rechte wie das Recht auf Leben, Freiheit, Gleichheit, Würde und Sicherheit, Nicht-Diskriminierung, Gesundheit und alle Rechte, die den Arbeitsschutz betreffen. Die Opfer, oft schwer traumatisiert von physisch und psychisch erlittenen Qualen, sind mit ihren Erlebnissen häufig für den Rest ihres Lebens gezeichnet – auch wenn sie dem Sklavenhandel und der Ausbeutungssituation entkommen konnten.

Menschenhandel heute – Ein Überblick

Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich der weltweite Menschenhandel („human trafficking“) mehr als vervierfacht und galt im Jahr 2005 nach einer Untersuchung von Europol als das Verbrechen mit der höchsten Zuwachsrate. Die Gewinne aus dem Menschenhandel werden von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auf bis zu 32 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Das Geschäft mit der Handelsware Mensch gilt als drittwichtigste (i. Sinne von Gewinnen) kriminelle Einkommensquelle nach dem Drogen- und Waffenhandel.

Ob Arbeits- oder Sexsklaven, Menschen zur Organentnahme, zur Heirat oder Adoption: Wer zahlt, dem wird geliefert. Menschenhandel betrifft Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts und nahezu jeder ethnischer Herkunft. Weltweit werden jährlich mehr als 2,4 Millionen Menschen wie Güter gehandelt. Nach Untersuchungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind Frauen und Kinder am häufigsten betroffen.

Was ist Menschenhandel?

Das Zusatzprotokoll der Vereinten Nationen zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels definiert Menschenhandel wie folgt:

„Menschenhandel meint die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder den Empfang von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavenähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Körperorganen.“ (eine deutsche Übersetzung des Gesetztestextes gibt es hier)

Kernelemente, die den Menschenhandel charakterisieren, sind der Vorsatz der Ausbeutung, die Nötigung, der Zwang und die Täuschung.

Hot Spots des Menschenhandels

Menschenhandel spielt sich innerhalb nationaler Grenzen und auch über Grenzen hinweg ab. In der Regel werden Menschen von weniger entwickelten zu besser entwickelten Regionen verbracht. So werden bspw. Menschen aus Moldawien vornehmlich in die Türkei, nach Russland oder die Vereinigten Arabischen Emirate gehandelt.

Die Industrieländer sind nach Untersuchungen die Endstation für die meisten der Opfer. Auch viele europäische Staaten sind Herkunfts-, Transit- oder Bestimmungsländer. Deutschland ist sowohl Transit- als auch Zielland für den organisierten Menschenhandel. Die Opfer – von denen einen Großteil aus Osteuropa stammt – landen in der Zwangsprostitution oder werden als Arbeiter auf Baustellen oder im Hotel- und Gaststättengewerbe ausgebeutet.

Mehr als die Hälfte aller Opfer des Menschenhandels in Verbindung mit Sklaverei stammen laut der einer Untersuchung der ILO im Jahr 2005 aus dem südostasiatischen Raum, weswegen Südostasien als internationale Drehscheibe des Menschenhandels gilt. Betroffen sind vor allem Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam. Die meisten Opfer werden weltweit und auch regional in die Sexindustrie verkauft. Alleine in Kambodscha werden laut Trafficking in Persons Report 2008 täglich 50.000 junge Frauen und Mädchen – darunter kleine Kinder – sexuell ausgebeutet.

Der Wirtschaftsfaktor ist in vielen Ländern nicht unbeachtlich. In Thailand beträgt die Prostitution mit knapp 27 Milliarden US$ 14 % des BIP.

Im Glauben an eine bessere Zukunft – Wie Menschen zu Opfern von Menschenhändlern werden

Wirtschaftliche Not, Perspektivlosigkeit und der Glaube an eine bessere Zukunft macht Millionen von Menschen jedes Jahr zur leichten Beute von Menschenhändlern. Jedoch gehören auch Entführungen und  der Verkauf von Kindern zu den gängigen Einstiegsszenarien der Opfer in den Menschenhandel.

Armut gilt aber nicht als der alleinige Grund für die dramatischen Entwicklungen der letzten Jahre: Faktoren, die von Diskriminierung bis hin zur politischen Verfolgung reichen, sorgen für unablässigen »Nachschub« an Menschen, die so in totale Abhängigkeitsverhältnisse geraten. Die Möglichkeit, im Zuge der Globalisierung Menschen und Geld schnell von einem Ort zu einem anderen zu bringen, Korruption, die mangelhafte oder fehlende Implementierung und Durchsetzung von Gesetzen gegen den Menschenhandel und die restriktive Einwanderungs- und Grenzsicherungspolitik der entwickelten Länder begünstigen den Handel mit Menschen.

„Traffickers fish in the stream of migration. They prey on the most vulnerable section of the migrants to supply to the most exploitative, hazardous and inhuman forms of work.”  beschreibt Radhika Coomaraswamy –  ein ehemaliger UN Sondergesandter der Sektion „Gewalt gegen Frauen“  – das Vorgehen von Menschenhändlern.

Endstation Sklaverei

Die häufigsten Formen der Ausbeutung, die Opfer von Menschenhandel an ihrem Zielort erwarten, sind sexuelle Ausbeutung und Zwangsarbeit – oftmals unter sklavenähnlichen Bedingungen. 43% der Opfer von Menschenhandel werden in die Sexindustrie, d.h. in die Zwangsprostitution verkauft. 1/3 der Menschen werden in der Landwirtschaft, in privaten Haushalten oder anderen ausbeuterischen Betrieben unter menschenverachtenden Bedingungen ausgebeutet.

Die ILO geht davon aus, dass heute mehr als 12,3 Millionen Menschen als Sklaven auf Feldern, in Fabriken, in Minen oder als Haushaltshilfen unter schlimmsten Bedingungen schuften müssen. 1/5 dieser praktisch versklavten Menschen stammen aus Menschenhandel. (Andere Schätzungen gehen von bis zu 27 Millionen Sklaven aus!) Etwa 270.000 Menschen werden als Sklaven in Industrieländer verbracht, wo sie zur Arbeit in Hotels, auf Baustellen oder zur Prostitution gezwungen werden. Ein Handel der sich auf einen Gewinn von 15 Milliarden US$ jährlich beläuft.

Wen trifft die Schuld?

Sind auch wir mitverantwortlich, dass es Menschenhandel gibt? Wen trifft die Schuld?

In Menschenhandel sind oftmals eine Vielzahl von Akteuren verstrickt: Die Anwerber, oftmals Bekannte oder gar Familienmitglieder, die Schleuser, meist mehrere Mittelsmänner, die „Arbeitgeber“, wir als Konsumenten, die Zuhälter in der Prostitution bis hin zu den Freiern, die selbst Nutznießer dieser Handelsstrukturen sind und von der Infrastruktur des Menschenhandels profitieren.

“On this trip, I’ve had sex with a 14-year-old girl in Mexico and a 15-yearold in Colombia. I’m helping them financially. If they don’t have sex with me, they may not have enough food. If someone has a problem with me doing this, let UNICEF feed them.” – Kommentar eines pensionierten Schullehrers.

Weltweit werden jährlich über 2 Millionen Kinder als Opfer des internationalen Sexhandels kommerziell sexuell ausgebeutet.

Hinter dem Handel mit Menschen stehen zumeist mehr oder weniger gut strukturierten kriminelle Organisationen und Netzwerken. Von 40 organisierten kriminellen Gruppen waren laut einer Studie der ILO im Jahr 2005 acht kriminelle Organisationen in den internationalen Menschenhandel involviert. Zwei von diesen Organisationen waren ausschließlich im Menschenhandel aktiv.

Ein genauerer Blick offenbart die erstaunliche Tatsache, dass Frauen im Geschäft der  Zwangsprostitution aktiv sind. Oftmals selbst ehemalige Opfer des Menschenhandels, betätigen sie sich als Zuhälterinnen oder sog. „Madames“.

Alleine der Handel von Menschen in die Sexindustrie und die sexuelle Ausbeutung der Opfer beschert den Tätern jährlich Gewinne von 217,8 Milliarden US$ bzw. 23.000 US$ pro Opfer. Laut Schätzungen bezahlen europäische kriminelle Organisationen an asiatische Kartelle etwa 6.000 US$ für einen chinesischen Mann oder eine chinesische Frau. Für ihre Freiheit müssen die Opfer dann mehr als 15.000 US$ »abbezahlen«. Ein Profit von 9.000 US$ – zuzüglich der Gewinne aus den erpressten Arbeitsleistungen, die sie verrichten müssen.

Internationale Initiativen gegen Menschenhandel

„Human trafficking constitutes both a major challenge for law enforcement as well as a grave human rights concern. Effective action is to be taken on both sides if we wish to be successful in our fight against trafficking in human beings.“ Helga Konrad, ehemalige OSCE Repräsentantin im Kampf gegen den Handel mit Menschen.

Im Jahr 2006 befreite die italienische Polizei in Italien über hundert Menschen aus einem Arbeitslager, in das sie als  durch den Menschenhandel zur Zwangarbeit gekommen waren. Jüngst berichtete die britische NRO Anti-Slavery International von der Befreiung von insgesamt 4.634 Menschen im Jahr 2008, die zur Arbeit auf Zuckerrohrplantagen in Brasilien gezwungen wurden. Angesichts der tatsächlichen Anzahl geschätzter Opfer noch begrenzte, aber hoffnungsvolle Beispiele für Erfolge im Kampf gegen Menschenhandel und Sklaverei.

Auf die breite gemeinsame politische Agenda ist das Thema Menschenhandel explizit erst in den vergangen Jahren gerückt. Eine erste Definition verabschiedete die Internationale Gemeinschaft erst im Jahr 2000 mit dem  UN-Protokoll gegen den Menschenhandel – obgleich das Verbot von Sklaverei und des Sklavenhandels bereits in Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthalten ist.

Obwohl mehrere Länder Gesetze erlassen und Task Forces gegen den organisierten Menschenhandel gegründet haben, mangelt es an einer Anwendung, Durchsetzung und der geringen Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen und Gesetze. Im Jahr 2007 wurden weltweit nur wenige tausend  Täter verurteilt.

Quellen und Links

  • Anti Slavery International, Die älteste Menschenrechtsorganisation der Welt bietet einen guten Überblick zum Thema Sklaverei und Menschenhandel.
  • Ban Ying, Der 1988 gegründete Verein ist Träger von zwei Projekten, einer Zufluchtswohnung für Frauen aus Südostasien und einer Beratungs- und Koordinationsstelle gegen Menschenhandel in Berlin. Die Organisation bietet auf ihrer Webseite Informationen zur Bekämpfung des Menschenhandels.
  • Belser, Patrick/ILO (2005), Forced Labour and Human Trafficking: Estimating the Profits.
  • Deutsches Institut für Menschenrechte (2008), Jahrbuch Menschenrechte 2008. Schwerpunkt: Sklaverei heute.
  • Global Inititiative to Fight Human Trafficking, Informationsplattform der UN zum Thema Menschenhandel.
  • Human Trafficking.org, Informationsplattform zum Thema Menschenhandel.
  • ILO (2005), A Global alliance Against Forced Labour. Global Report under the Follow-up to the ILO Declaration on Fundamental Principles and rights at Work 2005.
  • ILO (2008), Fighting Human Trafficking: The Forced Labour Dimensions.
  • Kangaspunta 82003), Mapping the inhuman trade: Preliminary findings of the database on trafficking in human beings, Forum on Crime and Society (New York, UNODC).
  • MORE, Reintegrationsförderung von Opfern von Menschenhandel: Die Initiative bietet einen guten Überblick über das Thema Menschenhandel insbesondere auch zu den rechtlichen Bestimmungen.
  • Naìm, Moisés (2005), Illicit. How Smugglers, Traffickers and Copycats are Hijacking the Global Economy.
  • Omar Mahmoud, Toman / Trebesch, Christoph (2008), What Determines Human Trafficking? Evidence from Five Eastern European Countries.
  • Roland Berger Stiftung (2008), Sklaverei und Menschenhandel im 21. Jahrhundert, Verletzungen von Menschenwürde und Menschenrechten in einer globalisierten Gesellschaft.
  • United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention (2001),  Trafficking in human beings.
  • United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) (2006),  Trafficking in Persons. Global Patterns.
  • U.S. Department of State Publication 11407 Office of the Under Secretary for Democracy and Global Affairs and Bureau of public Affairs (2008), Trafficking in Persons Report 2008.
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Wie viele Sklaven arbeiten für Dich?

Sklaverei? Das war einmal. Heute ist man zivilisiert und aufgeklärt. Man lebt ökologisch, bewusst und fair – falsch gedacht.