Die ISO 26000: Gesellschaftliche Verantwortung nach Maß?

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screenshot: Youtube/ISO

Die ISO-Norm 26000 behandelt die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und anderen Orga­ni­sa­tionen. Sie soll ihnen als Leitfaden zur Orientierung dienen.

Autor*in David Pachali, 15.07.12

Die ISO-Norm 26000 behandelt die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und anderen Orga­ni­sa­tionen. Sie soll ihnen als Leitfaden zur Orientierung dienen.

Ob Papierformate, Zahnbürsten, Teddybären oder metrische Gewinde in Schrauben: Für fast alle Dinge gibt es Normen, die einheitliche Größen, bestimmte Eigenschaften und vieles andere festlegen. In Deutschland gibt es dafür das Deutsche Institut für Normung (DIN), international werden viele Normen von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) erarbeitet. Normen sind keine Gesetze; sie zu befolgen, ist freiwillig. Wer sie als Hersteller befolgt, hat aber meistens einen klaren Vorteil: Wer will schon eine Glühbirne kaufen, die sich nicht in die Fassung schrauben lässt? Auf internationaler Ebene liegt eine der Kernfunktionen von Normen darin, Handelsbarrieren im globalen Markt abzubauen.

Mit der Norm „ISO 26000:2010 – Guidance on social responsibility”, die seit Ende 2010 in Kraft ist, hat die ISO Neuland betreten. Denn die Norm betrifft die gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen – und damit einen Bereich, der üblicherweise als „weich” verstanden wird, auch wenn er handfeste Auswirkungen hat. Ob es die Zerstörung von Urwäldern für die Palmölherstellung ist oder das Anheizen bewaffneter Konflikte durch den Rohstoffabbau im Kongo: das Handeln von Organisationen hat mitunter dramatische Folgen für die Gesellschaft, für die diese nicht immer auch die Verantwortung übernehmen.

Leitfaden statt Kennziffern

Lässt sich Verantwortung standardisieren, normieren oder sogar messen? Eine internationale, für alle Länder und Bereiche gültige Norm dafür aufstellen? Man kann das bezweifeln, aber tatsächlich ist das, was sich hinter der ISO 26000 verbirgt, auch keine Norm im strengen Sinn. Sondern eine sogenannte „Norm mit Leitfadencharakter”. Das heißt: es werden darin keine Anforderungen festgelegt, wie sich Organisationen zu verhalten haben. Vielmehr soll der Leitfaden zur Orientierung dienen: Wie sieht Verantwortung für diese Organisation aus, was umfasst sie? Wo und was kann verbessert werden?

Braucht es dafür wirklich eine ISO-Norm? Für Unternehmen gibt es seit vielen Jahren schon verschiedene Standards, Leitlinien und Indizes unter dem Stichwort der Corporate Social Responsibility. Etwa den Global Compact der Vereinten Nationen, den Dow Jones Sustainability Index oder die Global Reporting Initiative. Allerdings: Bei der Vielzahl an Standards und Indizes blickt kaum noch jemand durch. Ob etwa ein Unternehmen tatsächlich im Kerngeschäft ökologisch und sozial fair handelt oder lediglich Greenwashing betreibt, lässt sich da schwer sagen.

Eine Norm für alle

Bei der Vielzahl an Standards setzt auch die ISO 26000 an: sie soll die bestehenden Standards nicht ersetzen, sondern zielt eher auf ein gemeinsames Verständnis des Begriffs „gesellschaftliche Verantwortung” ab. Im Unterschied zur Corporate Social Responsibility schliesst die ISO-Norm allerdings nicht nur Unternehmen, sondern alle Arten von Organisationen mit ein: also auch Einrichtungen wie zum Beispiel Hochschulen, Verwaltungen oder Krankenhäuser.

Ausgearbeit haben den Leitfaden Arbeitsgruppen der ISO. Allerdings nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit einigen hundert Experten aus 90 Ländern. Sechs Interessengruppen waren beteiligt: Industrie, Gewerkschaften, Konsumenten, Behörden, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie eine weiteren Gruppe, die unter anderem Beratung, Dienstleistung und Forschung umfasste. Bemerkenswert ist, dass Schwellen- und Entwicklungsländer an der Ausarbeitung maßgeblich beteiligt waren und von ihnen in der Startphase – neben den Verbraucherorganisationen – wesentliche Impulse ausgingen. Die Industrieländer zeigten sich zunächst reserviert, eine Norm zu erarbeiten.

Was drin steht

Dieser breite Zugang zeigt sich auch im schließlich beschlossenen Leitfaden. Er liefert keine konkrete Handlungsanleitung und legt auch keine Kennziffern oder ähnliches fest. Deshalb ist die ISO 26000 auch nicht zertifizierbar. Der Leitfaden beginnt mit einer Reihe von Definitionen und Trends und definiert dann (Kapitel 4) sieben grundlegende Prinzipen gesellschaftlicher Verantwortung, die noch recht allgemein gehalten sind:

  • Rechenschaftspflicht: Das Handeln von Organisationen hat Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Darüber sollen sie Rechenschaft ablegen.
  • Transparenz: Wie eine Organisation handelt, entscheidet usw., das sollte in einem vernünftigen Umfang offengelegt werden und damit nachvollziehbar sein.
  • Ethisches Verhalten: Sorge um andere Menschen, Tiere und Umwelt.
  • Achtung der Interessen der Anspruchsgruppen (Stakeholder)
  • Achtung der Rechtsstaatlichkeit
  • Achtung internationaler Verhaltensstandards (z.B. die der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO)
  • Achtung der Menschenrechte

Prinzipien gesellschaftlicher Verantwortung nach ISO 26000. Grafik: RESET

Sieben Kernbereiche:

Neben diesen Prinzipien werden sieben sogenannte Kernbereiche gesellschaftlicher Verantwortung vorgestellt (Kapitel 6). Die Idee ist, dass diese Kernbereiche für alle Organisationen wichtig sind, sich aber daraus unterschiedliche Handlungsfelder ergeben können. So kann im Kernbereich „Umwelt” für eine Organisation eine effiziente Ressourcennutzung wichtiger sein als der Schutz von Lebensräumen. Was wichtig ist, sollen die jeweiligen Organisationen selbst entscheiden.

  • Organisationsführung (Prozesse und Strukturen)
  • Menschenrechte (z.B. Diskriminierungsverbot)
  • Arbeitspraktiken (z.B. Tarife, Gesundheitsschutz)
  • Umwelt (Ressourcennutzung, Anpassung an den Klimawandel, Schutz von Lebensräumen)
  • Faires Handeln (Korruption, fairer Wettbewerb)
  • Verbraucherangelegenheiten (z.B. ausreichende Informationen, Schutz von Kundendaten)
  • Gesellschaftliche Einbindung (z.B. Investitionen zugunsten des Gemeinwohls, regionale Anbindung, Einbindung in Bildung und Kultur)

Zusammengefasst: Es geht bei der ISO 26000 um einen – unverbindlichen – Leitfaden, der Organisationen dabei helfen soll, ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erkennen, auszuwählen, was man tun will und darum, vorhandene Instrumente zu verbessern.

Kritik

Viele Einschätzungen zur ISO 26000 heben positiv hervor, dass es gelungen ist, ein international geteiltes Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung zu erarbeiten, das wegen des Mitwirkens verschiedener Interessengruppen auf Akzeptanz hoffen kann. Dennoch gibt es von Seiten der Umwelt- und Entwicklungs-NGOs sowie von Gewerkschaften Kritik.

So können die Unternehmen „weiterhin den Umfang gesellschaftlicher Verantwortung nach dem Motto ,pick and choose‘ selbst definieren”, bemerkt das Netzwerk Soziale Verantwortung, ein NGO-Verbund aus Österreich. Das Netzwerk befürchtet auch, dass reine Marketing-Aktivitäten unter Verweis auf die ISO-Norm legitimiert werden können. Es sieht freiwillige Ansätze nur als Ergänzung zu gesetzlichen Regelungen. Der Leitfaden sei deshalb ein „zahnloses Produkt”, zumal die Empfehlungen kaum über die gesetzlichen Minimalanforderungen hinausgingen. Auch fehlten konkrete Indikatoren für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung und bei Berichten fehle eine externe Verifizierung.

Ähnlich argumentiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem Positionspapier: „Die Unternehmen berichten, dass sie gut sind, und der Rest der Welt muss dies glauben”. Dass eine Zertifizierung fehlt, sieht der DGB jedoch nicht nur negativ, da gesellschaftliche Verantwortung nicht allein von ISO-Gremien, sondern im politischen Raum verhandelt werde.

Die Entwicklungsorganisation Südwind weist zudem darauf hin, dass nicht die gesamte Zulieferkette von Unternehmen, sondern eine selbstdefinierte „sphere of influence” abgedeckt wird. Insofern sei der ISO-Leitfaden ein „Rückschritt gegenüber der langjährigen Praxis vieler CSR-Unternehmen, die bereits Verantwortung für Sozial- und Umwelstandards in ihren Zulieferketten übernommen haben.”

Trotz der Kritik sind sich die meisten Beobachter aber einig, dass der Leitfaden das Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung prägen wird.

Quellen und Links

David Pachali, RESET-Redaktion (2011)

(Titelbild: screenshot: Youtube/ISO https://www.youtube.com/watch?v=jRajp8s9beI Letzter Zugriff: 15.11.2015 17:42 Uhr)

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