Straßenlaternen tragen weniger zu nächtlicher Lichtverschmutzung bei als erwartet

Mithilfe von Satellitenbildern und „Smart City“-Technologien haben Forschende herausgefunden, welchen Einfluss Straßenlaternen auf die Lichtverschmutzung von Städten haben.

Autor*in Leonie Asendorpf, 03.12.20

Übersetzung Mark Newton:

Selbst nachts, wenn in den meisten Wohnungen die Lichter ausgehen, kehrt in den großen Städten dieser Welt keine Dunkelheit ein – Leuchtreklamen, Schilder und Straßenlaternen erhellen weiter die Nacht. Lange ist man davon ausgegangen, dass vor allem Straßenlaternen einen großen Anteil an der Lichtverschmutzung – also der dauerhaften Abwesenheit von kompletter Dunkelheit durch künstliche Lichtquellen – in Städten haben. Ein internationales Team von Forschenden hat nun untersucht, wie groß dieser Anteil tatsächlich ist.

Lichtverschmutzung aus dem Weltraum beobachten

In der 500.000-Einwohner*innen großen Stadt Tucson in Arizona haben Wissenschaftler*innen ein Experiment durchgeführt: Im März und April 2019 veränderten Stadtbedienstete in einem Zeitraum von insgesamt zehn Tagen die Lichthelligkeit von jeweils 14.000 bzw. 19.500 Straßenlaternen der Stadt. Danach wurde beobachtet, wie sich die Wahrnehmung der Helligkeit der Stadt aus dem Weltraum veränderte. In wolkenfreien Nächten machte der  Suomi NPP, ein zur NASA und NOAA gehörender Wetter- und Umwelt-Satellit, im Zeitraum des Experiments Bilder der Stadt.

Während die meisten Straßenlaternen in Tucson am Abend normalerweise mit 90 Prozent ihrer maximal möglichen Beleuchtungsstärke eingeschaltet und um Mitternacht auf 60 Prozent gedimmt werden, wurde die Beleuchtung während des Experiments in einigen Nächten bis auf 30 Prozent gesenkt. Zum Vergleich wurde das Licht in anderen Nächten auf 100 Prozent hochgeregelt. In zwei Aufnahmen des Suomi NPP-Satelliten ist der Unterschied der Beleuchtung aus dem Weltraum zu sehen: Am 31. März 2019 waren die meisten Straßenlaternen auf 30 Prozent des Maximums gedimmt und am 7. April 2019 waren die Straßenlaternen auf volle Leistung gestellt. Es gibt auch Aufnahmen, die die veränderten Lichtverhältnisse vom Boden aus zeigen. Für die Bewohner*innen der Stadt waren die Veränderungen kaum wahrnehmbar. Die meisten schliefen zur Uhrzeit des Experiments ohnehin oder gewöhnten sich schnell an das neue Licht, wenn sie doch draußen unterwegs waren. Beschwerden gingen bei der Stadt nicht ein.

Straßenlaternen machen nur 20 Prozent der Lichtverschmutzung aus

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass nur etwa 20 Prozent des Lichts in den Satellitenbildern aus Tucson von Straßenlaternen stammte. Die Forschenden vermuten, dass vor allem helle Fenster, beleuchtete Schilder und Fassaden, Videoreklamen und beleuchtete Sportplätze zu den weiteren 80 Prozent der Helligkeit beitragen. „Die 20 Prozent sind natürlich sehr spezifisch für die Stadt Tucson, aber auch in großen deutschen Städten wie Berlin oder München kommt der Großteil des Lichts vermutlich nicht von den Straßenlaternen“, sagt Christopher Kyba, der als Teil des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ in Potsdam das Team leitet.

Auch in Deutschland wurde der Einfluss von Straßenlaternen auf die allgemeine Lichtverschmutzung in einem kleineren Experiment getestet – und zwar in mehreren Ortsteilen der Thüringer Kleinstadt Königsee mit etwa 5.000 Einwohner*innen. Anstelle von LED-Lampen setzen diese Orte auf Natriumdampflampen, also Laternen mit einem klassischen gelb-orangen Licht. Auch hier werden die Straßenlaternen normalerweise nachts gedimmt. Bei dem Experiment kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass auch in diesen kleinen Ortschaften weniger als die Hälfte der Lichtemissionen von Straßenlaternen stammt. „In ähnlich großen Orten, wo die Lichter nicht gedimmt werden, kann es aber durchaus sein, dass der Großteil des Lichts von den Straßenlaternen kommt“, erklärt Kyba.

Warum Lichtverschmutzung problematisch ist

Eine starke Lichtverschmutzung hat große negative Auswirkungen auf die Umwelt. Durch die dauerhafte Abwesenheit von Dunkelheit gerät der biogische Tag-Nacht-Zyklus vieler Tiere aus dem Gleichgewicht. Darunter leiden vor allem nachtaktive Insektenarten, aber auch Zugvögel. „Wir haben hier als Menschen einen dramatischen und radikalen Wandel in der Umwelt verursacht. Wir Menschen sind zwar inzwischen an das viele Licht gewöhnt. Für Tiere und Pflanzen gibt es aber viele negative Folgen“, sagt Kyba.

Darüber hinaus ist Lichtverschmutzung auch teuer. „Für öffentliche Beleuchtung zahlen wir ja alle als Steuerzahler und für privates Licht als Privatkunden.“ Würden wir hier weniger Energie verbrauchen, könnte das unsere CO2-Emissionen reduzieren. Oder aber, so Kyba, könnte diese Energie an anderen Stellen sinnvoller genutzt werden, zum Beispiel, um Elektroautos oder Batterie-Speicher-Systeme aufzuladen. Das könnte die Energiewende deutlich vorantreiben.

„Smart City“- Technologien: eine Idee für die Zukunft?

Tucson und die kleineren Orte in Thüringen, in denen die Experimente durchgeführt wurden, gehören zu den wenigen Städten weltweit, die sogenannte „Smart City“-Technologien nutzen, um die Straßenbeleuchtung an bestimmten Zeitpunkten zu dimmen und nachträglich zu kontrollieren. Städte setzen die Technologie laut Kyba vor allem ein, um Kosten und Energie zu sparen. Die Installation einer solchen Technologie sei nicht besonders aufwändig, aber sehr sinnvoll. Entscheidend beim Thema Lichtverschmutzung ist aber auch, wie die Studie belegt, dass lokale und nationale Regierungen über mehr als nur die Straßenbeleuchtung nachdenken müssen, wenn sie die Lichtverschmutzung reduzieren wollen.

Zukünftig will das Forschungs-Team noch weitere Experimente in anderen Städten durchführen. Neben dem allgemeinen Einfluss von Straßenlaternen auf die Lichtverschmutzung ist der nächste Schritt nun herauszufinden, in welchen Bereichen die anderen großen Ursachen der Lichtverschmutzung liegen.

Das Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ) hat vor einiger Zeit eine Webanwendung entwickelt, mit der jede*r mit Internetverbindung einfach eine Region oder einen Standort auswählen kann und die Veränderungen der Lichtemissionen in diesem Gebiet in weniger als einer Minute angezeigt bekommt. In diesem Artikel erfährst du mehr: Radiance Light macht Satellitendaten lesbar

Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Satelliten und Drohnen – Wertvolle Helfer für eine nachhaltige Entwicklung“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Satelliten und Drohnen

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.


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