Spotlight Brasilien: Curitiba- Eine Stadt als Vorbild?

Curitibas Grünflächen

Die brasilianische Stadt Curitiba wurde als nachhaltigste und innovativste Stadt Südamerikas gepriesen und galt als Vorreiter für die weiter entwickelten, aber weniger nachhaltigen Wirtschaftsnationen des Westens. Doch was ist davon noch übrig geblieben, seit größerer Einwohnerzuwachs und Preisanstiege in allen Bereichen das Städtekonzept zum Wanken bringen? Kann Curitiba seine exzellenten Ideen auch in Zukunft noch weiter verwirklichen?

Autor*in Henriette Schmidt, 22.05.14

Curitiba ist eine 1,8 Millionen Stadt in Ost-Brasilien und die Hauptstadt der Provinz Parana. In den vergangenen zehn Jahren wurde sie für ihre in den 60er Jahren entstandene, hocheffiziente Stadtplanung bekannt, welche sie zu einer der nachhaltigsten Städte der Welt machte. Schon 1996 wurde sie auf dem Kongress der Stadtplaner in Istanbul zu der innovativsten Stadt der Welt gekürt und 2010 bekam sie den „Global Sustainable City Award“.

Unter der Militärsdiktatur 1970 in Brasilien gründete der Architekt Jamie Lerner das Institut für städtische Planung und Forschung (IPPUC) in Curitiba, welches sich zu einer Institution entwickelte, die losgelöst von der Stadtverwaltung kostengünstige und einfache Lösungen für die klassischen Probleme einer Entwicklungsstadt suchte. Durch Statistiken wurden die Bedürfnisse der stetig wachsenden Bevölkerung ermittelt und Konzepte entworfen, die einen effizienten und nachhaltigen Stadtaufbau zum Ziel hatten.

Nachhaltige Stadtplanung – wie kann das aussehen?

In dem seit 1968 existierenden Stadtplan des IPPUC wurden sowohl soziale und umweltschonende Aspekte als auch wirtschaftliche Überlegungen mit dem Ziel einer hohen Effizienz verwirklicht. So sind beispielsweise die innerstädtischen Großbauten mit Büroräumen und Wohnflächen auf bestimmte Bereiche beschränkt, so dass Hochhäuser nur entlang von Buslinien und Knotenpunkten des Verkehrs platziert sind. Das soll für eine ideale Vernetzung der Bevölkerung sorgen und dafür, dass kein Bewohner mehr als 400 Meter zu der nächsten Busstation zurücklegen muss.

Besonders bekannt wurde die Stadt für sein ausgefeiltes Bussystem, welches eine kostengünstige Alternative zu U-Bahnen darstellt und genauso schnell agiert. Die Busse besitzen eigene Fahrspuren und sind als Ringsystem aufgebaut. Die dreiteiligen Schnellbusse halten an speziell entwickelten Bushaltestellen, welche die Form von Röhren haben und die Reisenden durch einen festen Eingang und einen festen Ausgang mit kleinstmöglicher Wartezeit in die Busse schleusen. Unabhängig von der Entfernung zahlt jeder einen Einheitspreis, um so den Betrieb zu beschleunigen. Damit bringen die Busse täglich 2 Millionen Menschen innerhalb von wenigen Minuten von A nach B. Außerdem soll so der Autoverkehr auf ein Minimum beschränkt und die Umwelt vor Schadstoffen geschützt werden.

Licensed under: Creative Commons - Attribution Non-Commercial whl.travel Busstation in Curitiba

Abseits dieser Gebiete, die um das Stadtzentrum herum führen und somit den Verkehr aus der Fußgängerzone des Zentrums holen, schmücken große Grünflächen in der Nähe des Iguazu Flusses die Stadt. Diese dienen der Überschwemmungsprävention und sprechen außerdem jedem Bürger im Schnitt eine Grünfläche von ca. 52 qm zu.

Aus bildungspolitischen Gesichtspunkten bietet die Stadt mit ihren sogenannten „ Leuchttürmen des Wissens“ in jedem Stadtviertel eine kostenlose Bibliothek und Internetzugang für die Bürger. Um auch der armen Bevölkerung, die, wenn sie nicht in die sozialen Behausungsprojekte der COHAB eingegliedert ist, um die Stadt herum lebt eine Chance auf die Nutzung der städtischen Einrichtungen zu geben, richtete die Stadt ein Tauschsystem ein. Hierbei kann recyclebarer Müll gesammelt und im Tausch gegen Lebensmittel, Bustickets oder Schulbüchern abgegeben werden.

Es scheint, als sei in dieser Stadt an alles gedacht, doch wie kann so ein durchstrukturiertes System dem Wandel der Stadt standhalten?

Geht Curitibas Plan auf?

Auch wenn die Idee der Stadtplanung in Curitiba eine gute war ist der Wandel nur zu oft nicht berechenbar – so auch in Curitiba. Ihr exzellenter Ruf machte die Stadt zu einer von Brasiliens reichsten Städten und beschleunigte Zugleich den Zuwachs von auch ärmeren Wunsch-Bewohnern.

Das hatte zur Folge, dass die Kapazitäten der Stadt bezüglich Wohnraum und Transport nicht standhalten konnten. Trotz Sozialhäusern der Cohab standen 2013 ca. 74000 Menschen auf der Warteliste für eine Behausung. Durch die zusätzlich steigende Mietpreise durch den Zuwachs der Mittelschicht entstehen immer mehr illegale Siedlungen um die Stadt herum, in denen 10-15 % der Bevölkerung hausen. Bewohner dieser Orte sind weder an das Bussystem angeschlossen noch profitieren sie von den Bildungs- und Natureinrichtungen der Stadt. Alles, wofür Curitiba also bekannt ist, bleibt leider hunderttausenden von Menschen verwehrt.

Wie auch im Rest von Brasilien kam es im Sommer 2013 zu großen Protesten in Curitiba wegen der gestiegenen Buspreise. Der momentane Preis für ein Busticket katapultierte die Stadt zu der fünftteuersten in ganz Brasilien. Aus diesem Grund und auch wegen der fortschreitenden Entwicklung Curitibas steigen viele der Bewohner lieber auf das Auto um. Zum einen steigt der Wunsch nach Wohlstand und zum anderen ist in den überfüllten und teuer gewordenen Bussen schon lange nicht mehr genug Platz für alle Reisewilligen. Von der Stadt mit den wenigsten Autos wurde Curitiba zu der Hauptstadt mit der größten Anzahl an Autos pro Einwohner.  

Man hat das Gefühl, dass die Stadtverwaltung an der Aufgabe gescheitert ist, eine nachhaltige Stadt auch unter den Umständen eines entwickelteren Brasiliens aufrecht zu erhalten. Besonders bei den Vorbereitungen der Weltmeisterschaft 2014 zeigt sich bei Enteignungs- und Umsiedlungsmaßnahmen der IPPUC sowie bei fragwürdigen Verrechnungen von Geldern, dass Curitiba alles dafür tut, das Image der fortschrittlichsten und nachhaltigsten Stadt beizubehalten, auch wenn die Realität vielleicht schon lange anders aussieht!

Bevor sich beim ersten Anpfiff der Weltmeisterschaft alle Blicke auf Brasilien richten wollen wir mit unserer Serie „Spotlight Brasilien“ schon jetzt Menschen, Organisationen und Bewegungen vorstellen, die sich jenseits des Stadiums mit innovativen Ansätzen für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit engagieren. Alle Artikel zum Thema findest du hier: Spotlight Brasilien

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